Transkript: Alexander Van der Bellen bei Edgar Weinzettl im Journal zu Gast

Datum | Samstag, 27. Jänner 2018 |
Stand | Transkriptstatus: Samstag, 27. Jänner 2018 |
Quelle | oe1.orf.at |
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Edgar Weinzettl Journalist (ORF) | |
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Alexander Van der Bellen Bundespräsident | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
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Herr Bundespräsident Van der Bellen, Sie sind mit dem heutigen Tag ein Jahr und genau einen Tag im Amt und haben alles, was man zu so einem Termin eigentlich braucht: Die maximale mediale Aufmerksamkeit. Haben Sie sich Ihren Jahrestag so vorgestellt?
Ich hatte zwischendurch schon vergessen, dass es genau ein Jahr her ist. Na, es war ein interessantes Jahr, das muss man schon sagen. Eine Regierungskrise nach der anderen, schlussendlich dann Neuwahlen im Oktober samt Regierungsbildung danach, viele Auslandsbesuche hinaus bzw. Besuche herein sowie gestern etwa Präsident Santos von Kolumbien. Eine hoch interessante Persönlichkeit, Friedensnobelpreisträger.
Warum ich auch frage, ist, anstatt über Ziele oder Vorhaben Österreichs zu sprechen, dürfen Sie jetzt am Europäischen Parkett Sorgen über die politische Ausrichtung der Bundesregierung zerstreuen. Verursacht das Ärger bei Ihnen oder ist das eher Achselzucken? Wie reagieren Sie da drauf?
Nein, weder noch. Es sind ja verständliche Fragen sowie neulich in der parlamentarischen Versammlung des Europarats. Verteidige natürlich Österreich, das ist auch meine Aufgabe, versuche zu schildern, was wir für ein Land sind, wie das zu interpretieren ist.
Aber eigentlich würde Sie ja lieber über etwas anders reden, denke ich mir.
Ja, natürlich. Aber das sind auch Gelegenheiten zu sagen: Wir sind ein wirtschaftlich erfolgreiches Land, wir arbeiten an einer Klimastrategie in Österreich - also nicht ich jetzt, die Bundesregierung. Es ist auch klar, dass die neue Bundesregierung eine pro-europäische Ausrichtung hat. Und vielleicht das eine oder andere Detail aus der Regierungsbildung ohne natürlich das Vertrauen zu untergraben, das die Kanzler und Vizekanzler im Speziellen und ich gegenseitig aufgebaut haben.
'Was geht mich das an, lass sie doch.' Herr Bundespräsident, diese Worte kennen Sie.
Ja, ich erinnere mich. Ich würde mich... Ich persönlich echauffiere mich nicht darüber, wer immer wo tanzt.
Nur zur Erklärung für unsere Hörer, das haben Sie exakt vor einem Jahr gesagt, anlässlich des Burschenschafterballs in der Hofburg. Gestern hat wieder einer stattgefunden hier in der Hofburg. So wie in den Nuller-Jahren auch sind höchste Regierungsmitglieder dabei. Geht Sie das mittlerweile etwas an?
Der Tanz als solches nicht, finde ich. Politik ja. Was konkret vorbereitet oder beschlossen wird an Gesetzen: Ja. Oder Äußerungen außerhalb der gesetzgeberischen Tätigkeit: Ja. Der Tanz als solches Nein.
Aber Sie würden es nicht noch einmal in den Mund nehmen so... 'Lasst sie doch, was geht mich das an.'
Ich habe auch meine privaten Hobbies. Würde mir das auch verbieten, dass mir da da jemand dreinredet.
Zum Fall - ganz kurz - des niederösterreichischen freiheitlichen Spitzenkandidaten Udo Landbauer. Sie haben sich da sehr unmissverständlich geäußert. Trotzdem. Bundeskanzler Kurz sagt: Die rote Linie ist das Strafrecht. Ist das für Sie auch so oder ist das, was hinnehmbar ist politisch zu beurteile und sind politisch Konsequenzen zu ziehen?
Ich kann Bundeskanzler Kurz nicht interpretieren. Ich kann nur aus meiner Sicht sagen, ist das Strafrecht bzw. eine gerichtliche Verurteilung selbstverständlich eine - wie soll ich sagen Deklassifikation der betreffenden Person, die ihn politisch ins Out stellt. Für mich liegt die Grenze schon davor.
Nämlich wo?
Naja, im konkreten Fall ist es nicht nur eine Beschönigung, sondern - Verherrlichung ist jetzt zu viel gesagt -, aber ein Lächerlich machen des Massenmordes im Zuge des Holocausts insbesondere ein Lächerlich machen der Vergasung von Millionen Juden in Auschwitz. Ich meine, wo sind wir denn? Das kommentarlos hinzunehmen, so nach dem Motto: Die Gerichte werden das zu entscheiden haben, das ist nicht meine Position.
Aber Sie sind, wenn ich Sie richtig interpretiere jetzt für politische Konsequenzen. Sprich, der Herr Landbauer - in diesem Fall - sollte eigentlich als Spitzenkandidat zurücktreten. Oder was wäre dann die Konsequenz oder die rote Linie, die bei Ihnen früher beginnt?
Ich würde mich hüten, mich in den niederösterreichischen Landtagswahlkampf einzumischen.
Aber was sind denn die Konsequenzen?
Ja, selbstverständlich ist so jemand als Politiker in Österreich disqualifiziert.
Das hieße eigentlich, er müsste zurücktreten als Spitzenkandidat.
Und das finde ich. Wenn er es nicht tut, dann hat die FPÖ ein Problem.
Vor drei Tagen hat FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wörtlich gesagt: 'Burschenschaften haben nichts mit der FPÖ zu tun.' Gestern hat er dann auf dem Burschenschafterballs gesprochen. Sehen Sie das auch so?
Sie hören schon an meiner Reaktion, also. Das so zu formulieren ist wohl etwas gewagt. Die Burschenschaften und die FPÖ sind nicht identisch. Das wird man wohl sagen können. Nichts desto weniger spielen Burschenschaften in der FPÖ eine große Rolle. Das ist ja wohl unbestreitbar.
Herr Bundespräsident, kommenden Dienstag erhalten Sie vom internationalen Auschwitz-Komitee die sogenannten 'Gabe der Erinnerung'. Die haben vorher u.a. Papst Franziskus und UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon erhalten für die Verteidigung der Menschenrechte, gegen Intoleranz, Antisemitismus. Was erwarten Sie sich dort?
Natürlich, das freut mich sehr. Es war für mich überraschend. Mir ist wichtig, bei diesen Gelegenheiten zu betonen: Wir sollten uns nicht darauf beschränken Auschwitz zu erinnern, sondern wir müssen daran denken, was war die Vorgeschichte. Auschwitz ist ja nicht vom Himmel gefallen. Und für mich ist zentral, daran zu erinnern, dass die Vorgeschichte im wesentlichen Diskriminierung war. Insbesondere in diesem Fall gegen Juden - aber nicht nur. Diskriminierung heißt: Berufsverbote, Ausbildungsverbote, Heiratsverbote, zum Schluss in den 40er-Jahren durften Juden nicht auf Parkbänken in öffentlichen Parks sitzen und zu Hause keinen Kanarienvogel halten, ja. Das ist eine derart krasse Verletzung von Menschenrechten, die man sich heute schwer vorstellen kann. Das muss man aber im Auge behalten um zu verstehen, wie Lager wie Auschwitz überhaupt existieren und funktionieren konnten.
Für diese Auszeichnung, also diese sogenannten 'Gabe der Erinnerung' verzichten Sie auf ein Treffen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, der am Dienstag auch in Wien ist. Trifft sich ganz gut?
Meines Wissens gab es im Vorfeld keine diplomatischen Bemühungen um einen solchen Termin. Insofern glaube ich, ist das reiner Zufall, dass das zusammentrifft.
Um das abzuschließen: Es ist ja nicht nur der Fall Udo Landbauer. Der freiheitliche Innenminister Kickl spricht da von 'Flüchtlinge konzentriert zu halten'. Da haben Sie dann in einer Aussendung reagiert. Ein FPÖ-Bundesrat zieht kürzlich sein Antreten zurück, weil ein Foto mit Hitlergruß von ihm aufgetaucht ist. Wie sehen Sie jetzt im Lichte dieser jüngsten Ereignisse die Regierungsbeteiligung der freiheitlichen Partei?
Nun, die Regierungsbildung ergab sich aus der Nationalratswahl. Bei der Nationalratswahl gab es mindestens zwei Möglichkeiten eine Regierung zu bilden auf Grund des Stärkeverhältnisses der Fraktion im Nationalrat. Allerdings habe ich im Zuge der Regierungsbildung bei bestimmten Punkten gebeten, gewisse Vorstellungen meinerseits zu berücksichtigen. Und das ist im Großen und Ganzen auch gelungen. So dass ich darauf vertraue, dass wir auch in den kommenden Monaten eine funktionierende und gute Gesprächsbasis haben werden.
Aber ärgert Sie das jetzt im Lichte der jüngsten Ereignisse im Nachhinein, dass Sie bei der Regierungsbildung da nicht - ich sage es einmal salopp - stärker auf den Tisch gehaut haben? Sie haben zwei Namen genannt von Freiheitlichen, die sie nicht als Minister angeloben würden. War das zu wenig, hätten Sie mehr tun müssen?
Ich glaube, ich habe meine Möglichkeiten ziemlich realistisch eingeschätzt. Und dann muss man sich im Einzelnen entscheiden, was ist mir ganz wichtig oder jedenfalls wichtiger als etwas anderes, was ich vielleicht auch hätte haben wollen.
Herr Bundespräsident, kommen wir zu Europa. Österreich übernimmt im zweiten Halbjahr den EU-Vorsitz. BREXIT, EU-Budget, Russland-Sanktionen, das alles sind große Brocken auf der Agenda. Was erwarten Sie sich vom EU-Vorsitz Österreich?
Es ist kein Routine-Vorsitz, da haben Sie vollkommen recht. Es stehen ganz große und ganz schwierige Themen auf der Tagesordnung. Es muss auch nicht alles entschieden werden. Zum Beispiel die finanzielle Planung ab 2020/2021 muss jetzt nicht unbedingt finalisiert werden während der österreichischen Präsidentschaft. Die BREXIT-Verhandlungen sind allerdings dann entweder in der Endphase oder es gibt sich eine neue Situation. Weiß der Kuckuck. Ich glaube, Außenministerium und vor allem Bundeskanzleramt sind voll dabei, dieses halbe Jahr ab 1. Juli gut vorzubereiten.
Erwarten Sie, dass der Beitrag Österreichs zum EU-Budget steigen wird nach dem BREXIT? Zurzeit Netto bei 1.3 Milliarden.
Man muss aber schon dazusagen, das ist nicht einmal ein halbes Prozent des BIP. Also, da geben wir in anderen Bereichen intern das zehnfache aus ohne viel mit der Wimper zu zucken, ja. Also insofern möchte ich, dass...
Also es würde nicht so schmerzhaft sein, wenn es steigen würde.
Selbst wenn das etwas steigen würde, dann würde das Österreich als reiches Land in diesem Fall, im jetzt, für die kommenden Jahre, in dieser Wirtschaftssituation gut verkraften können.
Sollen die Russland-Sanktionen je nach Fortschritt der Friedensbemühungen Zug-um-Zug zurückgenommen werden so wie jetzt? Oder sollen sie ganz grundsätzlich überdacht werden?
Ich habe viel Sympathie für diese Zug-um-Zug-Vorstellung, die ja seinerzeit von Außenminister Steinmeier noch - glaube ich - maßgeblich vertreten worden ist. Dass man sozusagen nicht von Null auf Hundert geht, nicht warten, bis alle Bedingungen der Minsker-Vereinbarungen erfüllt sind, sondern sich vielleicht Schritt-für-Schritt annähern wird können. Es ist leider in den letzten Monaten kein merkbarer Fortschritt zu sehen gewesen. Das hat auch Österreich schmerzlich zu spüren bekommen im Rahmen des OSZE-Vorsitzes. Dass vor allem die Situation in der Ost-Ukraine nach wie vor nicht nur unbefriedigend ist, sondern eigentlich katastrophal schlecht.
Herr Bundespräsident, ganz kurz noch zur Diskussion um die Doppelstaatsbürgerschaften für Südtirol. Die Regierung will das. Müssen damit Ihrer Ansicht nach auch alle Rechte und Pflichten übernommen werden? Also sollen zum Beispiel diese Doppelstaatsbürger dann auch zum Bundesheer müssen? Sie sind Oberbefehlshaber. In Italien ist die Wehrpflicht ausgesetzt.
Aber Sie greifen mir jetzt schon - wie soll ich sagen - voraus, na? Erstens einmal bin ich gar nicht sicher, dass die Bundesregierung das will, sondern...
Die freiheitliche Partei will es ganz stark. Die ÖVP überlegt noch.
Und ich möchte einmal vorläufig nur sagen, derart sensible Materien sollen nur - und ich betone das wirklich deutlich - nur im Einvernehmen mit Rom und Bozen, aber vor allem mit Rom entschieden werden. Es lohnt sich nicht, deswegen mit unseren italienischen Freunden irgendeinen Zwist anzufangen. Wobei ich überhaupt sagen muss, der offensichtliche Vorteil für Südtiroler, eine Doppelstaatsbürgerschaft zu haben liegt jetzt nicht auf der Hand, weil in Österreich sind sie ja eh gleichgestellt.
Kommen wir abschließend, Herr Bundespräsident, noch zu den anstehenden Nachbesetzungen von Verfassungsrichtern am Verfassungsgerichtshof. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis Ende nächster Woche. Die Regierung, der Nationalrat und der Bundesrat nominieren je einen Richter, eine Richterin. Sie als Bundespräsident ernennen die dann zu Verfassungsrichtern. Was sind denn Ihre roten Linien dabei?
Ich gehe einmal davon aus, dass Vorschläge erstellt werden, wo die betreffenden Persönlichkeiten einmal über eine eindeutige juristische Kompetenz verfügen.
Da gibt es klare Ausschreibungskriterien dafür auch.
Natürlich. Im Hinblick darauf, dass der Verfassungsgerichtshof eine der wichtigsten Institutionen dieses Landes ist - man muss auch berücksichtigen, dass Verfassungsrichter ja bis zum siebzigsten Lebensjahr im Amt bleiben und je nach Lebensalter, also zehn, zwanzig, dreißig Jahre tätig sein könnten. Also, ich vertraue einmal darauf, dass die Vorschläge, die mir genannt werden entsprechend fundiert sind. Aber ich werde sie mir sehr genau anschauen.
Sie haben es erwähnt: Die Ausschreibungskriterien sind klar. Aber um den Bogen zum Beginn unseres Gesprächs zu schlagen. Da steht natürlich nichts über Burschenschafter drinnen. Würden Sie ein Mitglied einer Burschenschaft zum Verfassungsrichter ernennen?
Ich sage einmal - nicht ganz direkt auf Ihre Frage aber indirekt - die FPÖ hatte schon einmal einen Kandidaten nominiert, den ich sehr gut aus meiner Tätigkeit an der Verwaltungsakademie des Bundes kannte, wo wir beide Kollegen waren. Und der Betreffende wurde zwar der FPÖ zugerechnet, war aber ein guter Jurist, ein angenehmer Mensch und sicher ein guter Verfassungsrichter.
Das heißt, wenn ich Sie interpretieren darf: Burschenschafter-Mitgliedschaft schließt nicht automatisch aus, dass man ein guter Verfassungsrichter sein kann.
Das schließt es nicht automatisch aus.
Und es wäre für Sie auch keine Hürde, so jemanden zu ernennen.
Sie locken mich hier auf ein Glatteis. Es ist eine Fülle von Kompetenzen, die ein Verfassungsrichter oder eine -richterin haben muss. Und ich werde mir das mit Sicherheit genau anschauen.
Herr Bundespräsident, wir müssen zum Ende kommen. Sie haben jetzt noch fünf Jahre im Amt vor sich und sind dann am Ende der Periode knapp 80 Jahre alt. Das Korsett, in dem man so als Bundespräsident drinnen steckt ist sehr eng. Rüttelt diese Perspektive ein bisschen an Ihrer Gelassenheit?
Ja wenn ich täglich fünf Jahre vorausdenken müsste... Muss ich aber nicht. Na, schauen wir einmal. Es ist jedenfalls eine sehr, sehr, wirklich sehr interessante Tätigkeit, wo man mit vielen Leuten in Kontakt kommt, jungen Leuten auch, Schülern, Schülerinnen, aus den verschiedensten Bereichen. Und wenn ich jemand einlade, kann ich ziemlich sicher sein, der oder die kommt auch. Es ist schon Privilegien, die man hier genießt. Und wenn ein bisschen Routine zwischendurch auch notwendig ist, ja in welchem Job ist das nicht der Fall.
Aber fünf Jahre schrecken Sie jetzt nicht?
Schreckt mich nicht, nein.
Danke für das Gespräch.
Danke auch.
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