Transkript zum Interview von Armin Wolf mit Julia Herr (SJ) vom 1. Dezember 2014.

ZIB2-Interview
Montag, 1. Dezember 2014 um 22:10 Uhr
ORF2
Transkriptstatus: 2. Dezember 2014 um 01:28
Quelle: http://tvthek.orf.at/program/ZIB-2/
Bildquelle: orf.at


Die Idee hinter dem Transkript ist, ein gesprochenes TV-Interview auch in einem zusätzlichen Kanal – und zwar in Textform – zur Verfügung zu stellen. Oft ergeben sich beim Lesen andere und klarere Zusammenhänge. Strukturen werden erkannt und eigentliche Botschaften, Textbausteine werden noch klarer und können weiter recherchiert werden. Wir möchten Politik, politische Ideen und Veränderung und den Weg in ein neues, offenes und mitgestaltbares politisches Zeitalter unterstützen. Und dem Gesagten mit dem Transkript einen ernstzunehmenden anderen Zugang sowie eine möglichst breite Reflektion bieten.

Armin Wolf (ORF): Und davor wollte Werner Faymann heute auch nicht in die ZIB2 kommen. Ebenso wenig wie übrigens einige andere, derzeitige und frühere SPÖ-Granden, die wir eingeladen hatten. Bei mir ist jetzt aber die vielleicht schärfste Kritikerin Werner Faymanns: Die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr. Guten Abend, vielen Dank fürs Kommen.

Julia Herr: Guten Abend.

Frau Herr, Sie haben Werner Faymann nicht zum Parteivorsitzenden gewählt; haben daraus auch kein Geheimnis gemacht. In den Medien wird das Wahlergebnis jetzt „Blamage“ und „Der Anfang vom Ende Faymanns“ genannt. Haben Sie erreicht, was Sie wollten?

Uns ist es einfach darum gegangen zu zeigen, dass wir aus verschiedensten Gründen unzufrieden sind. Das eine ist natürlich inhaltlich: Wir fordern jetzt bspw. schon seit drei Parteitagen – seit 2010 – Vermögenssteuern. Und sie sind immer noch nicht gekommen. Und natürlich ist es uns auch darum gegangen, ganz einfach einen Denkzettel zu verpassen.

Aber wenn Sie mit Werner Faymann unzufrieden sind, warum haben denn Sie und die anderen Kritiker nicht einen anderen Parteivorsitzenden vorgeschlagen?

Naja, also aus den Reihen der Sozialistischen Jugend ist es wahrscheinlich recht schwer einen Gegenkandidaten oder eine Gegenkandidatin aufzustellen. Es ist jetzt auch nicht primär die Kritik an seiner Person, sondern es ist auch ein Symbolakt. Uns geht es darum, dass die gesamte SPÖ-Spitze begreifen muss, dass die Dinge, die vor der Wahl – auch auf Wahlplakaten hängen – nach der Wahl auch umgesetzt werden müssen.

Aber was ist Ihre Strategie? Sie kritisieren an Werner Faymann, dass er zentrale SPÖ-Forderungen wie die Vermögenssteuer – haben Sie gerade genannt – oder die Gesamtschule nicht durchsetzt. Aber glauben Sie, dass ein intern angeschlagener SPÖ-Chef sich in einer Koalition mit einem ÖVP-Chef – der gerade 99 Prozent von seiner Partei bekommen hat – leichter tun wird, etwas draufzusetzen?

Ich glaube, angeschlagen ist Werner Faymann durch die 400.000 Mitglieder, die wir seit der großen Koalition an Wählern und Wählerinnen verloren haben. Und nicht durch die hundert Delegierten, die ihn am Parteitag nicht gewählt haben. Ich glaube, das Problem ist, dass wir unsere Glaubwürdigkeit als SPÖ langsam verlieren. Das ist das zentrale Problem. Und diese Diskussion, ob ein Neuner oder Achter bei Wahlergebnis vorne steht, ist nicht die zentrale.


Quelle: Entwicklung und Überblick: Parteimitglieder in Österreich

Wenn das nicht zentral ist, warum haben Sie es dann überhaupt mit dem Denkzettel probiert? Gewerkschafter Muchitsch zum Beispiel sagt: „Die Streichungen waren unreif. Eine Trotzreaktion zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.“
Bau-Holz-Gewerkschafter Beppo Muchitsch
[…] Kritik an den Streichungen kommt von Bau-Holz-Gewerkschafter Beppo Muchitsch: „Das ist für mich unreif. Das ist eine Trotzreaktion zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.“ Für die anstehenden Steuerreform-Verhandlungen wäre es ihm „lieber gewesen, dass wir ein bisschen mehr Sprit in den Tank bekommen hätten“. Das Ergebnis wertet er als „Warnschuss, aber auch als Auftrag für eine Steuerreform 2015“. […]
orf.at (29.11.2014)

Nein. Jemanden zu streichen ist ein demokratisches Recht, das jeder und jede Delegierte hat. Von dem haben wir Besitz ergriffen, weil wir unzufrieden sind…

Ja, aber ist es sinnvoll?

Natürlich ist es sinnvoll. Natürlich war das jetzt ein Ergebnis, das viele Probleme widerspiegelt. Und, dass nicht nur die Jugendorganisationen, sondern breite Teile der SPÖ Unmut haben. Das muss man ja auch irgendwann zeigen können. Es muss ja auch Mittel geben, Kritik zu äußern. Und das Mittel, das Delegierten zusteht, ist nun mal die Streichung. Und natürlich muss man seinen Unmut auch kundtun.

Aber wie soll denn Werner Faymann dieses Problem lösen? Man könnte ja annehmen, dass wenn die SPÖ über 50 Prozent hätte, dass er dann möglicherweise Vermögenssteuern und die Gesamtschule einführen würde. Die SPÖ hat aber nur 27 Prozent und einen Koalitionspartner, der das partout nicht will. Da wird man wohl Kompromisse schließen müssen.

Natürlich muss man Kompromisse schließen und natürlich sind wir nicht in einer Alleinregierung. Aber trotzdem muss es rote Linien geben. Das heißt: Eine Regierung darf niemals ein Selbstzweck sein, dass man einfach nur in der Regierung sitzt. Sondern eine Sozialdemokratie muss dann in der Regierung sitzen, wenn es sozialdemokratische Projekte umsetzen kann. Und wenn das mit einer ÖVP derzeit nicht möglich ist, dann muss man das ganz einfach hinterfragen. Und das tun wir. Und das tun mittlerweile auch verschiedenste Landeshauptleute.

Sie hinterfragen sie nicht nur, sie sind viel deutlicher. Sie sagen: „Wenn sich die SPÖ mit Vermögenssteuern nicht durchsetzt, soll sie die Regierung verlassen.“ Und dann? Haben Sie auch keine Vermögenssteuer.

Naja, aber dann hat man zumindest erhobenen Hauptes diese Koalition auch verlassen. Und dann hat die SPÖ dieses Glaubwürdigkeitsproblem zumindest einmal ernst genommen und hat gezeigt, dass sie dass, wofür sie gewählt ist, auch tatsächlich versucht umzusetzen. Weil das ist ja jetzt unser Problem, das wir vor den Wahlen auf die richtige Themen setzen und dass wir uns als „Partei der Arbeit“ inszenieren. Dass wir raufschreiben: „Die Arbeitslosenzahlen sind zu hoch“, „Die Mieten sind zu hoch“. Und, dass wir das aber dann nicht umsetzen. Da gehe ich lieber erhobenen Hauptes aus der großen Koalition heraus und sage: „Ich habe es versucht, konnte es nicht umsetzen – die ÖVP hat es blockiert.“ Dann brauche ich mich nicht so sehr vor Neuwahlen fürchten, wie wenn ich das tun müsste, wenn ich jetzt quasi fünf Jahre in der Regierung sitze, aber nichts von meinen Versprechen umgesetzt habe.

So wie sie sagen: „Wenn es keine Vermögenssteuern gibt, dann Neuwahlen?“

Unter anderem. Ja. Ich glaube, es braucht solche roten Linien. Ob das jetzt die Vermögenssteuern sind – das ist jetzt natürlich die aktuellste Debatte. Die Steuerreform, die durch vermögensbezogene Steuern gegenfinanziert sein muss. Uns sind aber auch weitere Themen wichtig: Eine Bildungsreform, die so dringend wäre.

Gut, aber die Steuerreform ist ja im März auf dem Programm. Wenn es die im März – mit Vermögenssteuern – nicht gibt, dann Neuwahlen?

Dann würden wir das so sagen. Ja.

Laut Umfragen würde die ÖVP Neuwahlen gewinnen und dann wohl den Bundeskanzler stellen. Das fänden Sie dann besser?

28112014

Nein, aber ich glaube, das ist ja eben der Punkt: laut Umfragen jetzt. Ich glaube, wenn man dann als SPÖ gezeigt hat, dass man sich rote Linien setzt und, dass man dafür kämpft, dass man nicht weiter umfällt, dann würden die Wahlergebnisse auch – glaube ich – ganz anders ausschauen. Und darum geht es uns ja, dass man dieses Glaubwürdigkeitsproblem, dass die Leute haben… Weil die meisten Leute hat die SPÖ bei der letzten Nationalratswahl als Nichtwähler in ein Lager verloren. Das heißt, Leute, die davor SPÖ gewählt haben, haben das plötzlich nicht mehr gemacht. Das heißt, man muss dieses Glaubwürdigkeitsproblem angehen und zeigen, dass man die Dinge ernst nimmt und dahinter steht.

Angenommen, ihre These stimmt: Es gäbe Neuwahlen, die SPÖ bleibt Erster – wird wohl trotzdem keine absolute Mehrheit gewinnen. Mit wem setzen Sie denn dann Vermögenssteuern um?

Ich glaube, das muss man sich dann anschauen. Falls Sie jetzt anspielen – natürlich sind wir auch nicht für eine Koalition mit der „Einzelfallpartei“ FPÖ, die sich von einem Einzelfall in den nächsten rettet und die sich scheinbar immer noch nicht von rechtsradikalen Gedankengut abgrenzen kann. Es geht darum, dass man viel mehr Handlungsspielraum in der großen Koalition hat. Wir haben zum Beispiel gefordert, dass es die SPÖ der SPD nachmachen und eine Urabstimmung über das Koalitionsprogramm abhalten soll. Das heißt, dass man die Mitglieder fragt, ob sie damit zufrieden damit sind. In der SPD hat recht gut funktioniert, da hat man sogar Mitglieder gewinnen können. Und man hat ganz klar Linien – wie zum Beispiel beim Mindestlohn in Deutschland – setzen können.

wahlrecht
Quelle: wahlrecht.de

Gut. Jetzt ist die SPD in Deutschland auch nicht in einer beneidenswerten Position. Die CDU ist ungefähr 13 Prozent stärker. Wäre es Ihnen – wenn es denn keine Koalitionspartner gibt, mit dem das geht – lieber, dass die SPÖ erhobenen Hauptes in die Opposition geht und in machtloser Schönheit verharrt?

Natürlich. Man muss auch vor der Opposition keine Angst haben. Und prinzipiell hat es ja gezeigt, dass wenn eine große Koalition – wenn sie nicht funktioniert – 400.000 WählerInnenstimmen kosten kann. Und das war im Zeitraum von 2006 bis 2013 der Fall.

Wen hätten Sie denn lieber als Vorsitzenden als Werner Faymann?

Derzeit – glaube ich – stehen nicht so viele Kandidaten und Kandidatinnen zur Auswahl.

Aber Sie könnten sich einen wünschen.

Ich wüsste niemanden.

Christian Kern wird wirklich tatsächlich öfter genannt. Ich habe mit ihm persönlich noch nie gesprochen und kenne ihn auch nicht.

Frau Herr, vielen Dank für den Besuch im Studio.

Danke schön.