Die österreichische Version des „American Dream“: Wer hart für die Partei arbeitet, kann durch die Partei alles erreichen.
Ein Kommentar von Thomas Knapp
Der Amerikanische Traum, jeder hart arbeitende Mensch könne es zu etwas bringen, ist bekanntermaßen nur ein Traum und hat mit der amerikanischen Realität wenig zu tun. Der österreichische Traum dagegen ist noch immer Realität. Auch wenn ihn gar nicht wenige wohl als Albtraum erleben.
Das Prinzip „Parteibuch“ hat in den letzten Jahrzehnten, mit dem Rückgang des staatlichen Einflusses auf Unternehmen, an Strahlkraft verloren. Je geringer die Anzahl der Betriebe unter Einfluss einer Partei, desto geringer ihre Handlungsfähigkeit im Tauschhandel Nibelungentreue gegen ökonomische Absicherung. Freilich ist nur ein sehr großer Einflussbereich kleiner geworden. Das Prinzip „Parteibuch“ lebt und ist einer der Gründe für den traurigen Zustand der österreichischen Politiklandschaft.
Von der Zahnarztassistentin zur Nationalratspräsidentin
So liest sich die österreichische Version von „vom Tellerwäscher zum Millionär“. Das Spezielle daran ist aber, dass der soziale Aufstieg nicht durch herausragende Leistungen oder geniale Erfindungen im Dienste der Allgemeinheit erfolgt, sondern durch Treue zur und Gehorsam gegenüber der Partei. Das soll nicht an Doris Bures, der ehemaligen Zahnarztassistentin die nach einer langen und braven Parteikarriere nun Präsidentin des Nationalrats werden soll, festgemacht werden. Dieser Karriereschritt wäre aber durchaus Anlass, über die verkümmerte Gewaltentrennung zu sprechen, wenn beliebig zwischen Nationalrat und Regierung verschoben wird, um ein Mitglied der Exekutive zur Präsidentin der Legislative zu machen.
Politik und die Parteien sind voll von Beispielen von formal und tatsächlich unqualifizierten Personen. Kaum jemand von den MinsterInnen hat eine Ausbildung die für den Zuständigkeitsbereich qualifiziert. Das ist nicht notwendig etwas Schlechtes, könnte man einwenden. MinisterInnen leiten ihre Ministerien, sie geben die Richtung vor. Für Expertise gibt es die MitarbeiterInnen mit entsprechender Erfahrung und Ausbildung. Jemand mit guten Führungsqualitäten der oder die sich auf kompetente Vertraute verlassen kann, kann als MinisterIn brillieren.
Als MinisterIn trägt man die politische Verantwortung und gibt die Richtung vor. Führungskompetenz und Sachverstand reichen in vielen Fällen vielleicht aus. Das erscheint durchaus sinnvoll. Andererseits fragt man sich, was den 28jährigen Sebastian Kurz ohne abgeschlossenes Studium, Berufsausbildung oder einschlägige Erfahrung qualifiziert, ein Ministerium zu leiten, dessen höhere und leitende MitarbeiterInnen alle Qualifikationen haben müssen, die seinen weit voraus sind? Wenn an MinisterInnen deutlich geringere Anforderungen gestellt werden, als an ihre MitarbeiterInnen, kann man dann tatsächlich von einer sinnvollen Führungsstruktur sprechen? Wieso sollten MinisterkandidatInnen nicht etwa ein einschlägiges Studium oder adäquate Berufserfahrung, zu überprüfen durch das Parlament im Rahmen eines Hearings, mitbringen müssen?
Wer gewählt wird, hat Recht
Wenn PolitikerInnen von WählerInnen das Vertrauen ausgesprochen bekommen, dann sollen sie auch MinisterInnen werden dürfen. Dieses grundsätzlich plausibel klingende Argument baut auf der gelebten österreichischen Überwindung der Trennung von Legislative und Exekutive auf. Gewählt werden die Mitglieder des Nationalrats. Deren Aufgabe ist es, die Interessen der Bevölkerung zu vertreten. Dazu haben sie eine Stimme in Ausschüssen und im Plenum, wenn über Gesetze abgestimmt wird. Niemand wird tatsächlich in die Regierung gewählt, auch wenn man so tut als ob. Wer für eine Partei stimmt, um diese in die Regierung zu bringen, stimmt damit nicht über MinisterkandidatInnen ab. Diese müssen aus gutem Grund nie auf einer Liste gestanden haben. Sie werden vom Bundespräsidenten ernannt. Dieser hat gute Gründe sich an den Mehrheitsverhältnissen im Parlament zu orientieren, mehr nicht. Die Wahl einer Partei oder die Vergabe von Vorzugsstimmen ist kein Auftrag ein Ministerium zu übernehmen.
Ein anderes Argument dagegen ist die fehlende soziale Durchlässigkeit. Eliten würden nur noch stärker unter sich bleiben, wenn hohe politische Ämter an Erfolge in einem sozial enorm selektiven Bildungssystem geknüpft werden. Das ist ein Problem, allerdings der falsche Ansatz. Das Ziel muss sein, das marode Bildungssystem zu renovieren, um soziale Mobilität zu ermöglichen, nicht, dass wichtige Funktionen auch ohne Qualifikation erlangt werden können. Es geht nicht darum, von akademischen Eliten regiert zu werden. Alois Stöger, derzeit noch Gesundheitsminister, ist ein Beispiel dafür. Von der Lehre als Maschinenschlosser über ein Fernstudium „Soziale Praxis“ und andere Fortbildungen wurde er schließlich Obmann der OÖGKK, was ihm die Berufserfahrung verschaffte, ein guter Gesundheitminister zu werden. Die wohl meistgelobten Minister dieser Regierung, Rudolf Hundstorfer und Reinhold Mitterlehner, haben beide kein einschlägiges Studium abgeschlossen 1, sondern profitieren von ihrer langen Berufserfahrung als einschlägig tätige Interessensvertreter.
Das System „vom Taxifahrer zum Bundeskanzler“ argumentiert selbst am stärksten gegen sich. Je stärker „Parteisoldatentum“ zum Selektionskriterium wird, umso schlechter qualifiziert wird das politische Personal. Ausnahmen sind möglich, aber darauf zu bauen kann nicht die Antwort sein. Die Vergabe wichtiger politischer Funktionen und Posten muss öffentlicher werden. Transparenz und Öffentlichkeit sind das beste Mittel gegen unqualifizierte Hinterzimmerdeals. Und auch deshalb dringend notwendig, um die österreichische Demokratie durchzulüften.
Foto: SPÖ/Zinner via Flickr
Quellen und Fußnoten:
- Nachtrag 18.08.14: Da mehrmals der Hinweis auf Mitterlehners Studienabschluss kam: Ich schrieb hier bewusst „kein einschlägiges Studium“, da ich wusste, dass Mitterlehner Jus abgeschlossen hat, was meiner Einschätzung nach aber kein facheinschlägiges Studium für einen Wirtschaftsminister ist. Darüber kann man wohl diskutieren, ich glaube aber jedenfalls, dass seine wichtigste Qualifikation die Erfahrung in der WKO ist. ↩
Thomas Knapp
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