Am 11. Oktober finden die Wahlen zum Wiener Landtag und Gemeinderat statt (Wien ist ja ein Zwitterwesen: gleichzeitig Bundesland und Gemeinde). Seit 1918 ist bei allen demokratischen Wahlen in Wien die Sozialdemokratie als stärkste Kraft hervorgegangen – zumeist mit einer absoluten Mehrheit an Mandaten (auch Dank des für größere Parteien vorteilhaften Wiener Wahlrechts – aber dazu ein andermal mehr).

Laurenz Ennser-Jedenastik
FullSizeRenderLaurenz Ennser-Jedenastik studierte Politikwissenschaften (Dr., 2013) an der Universtität Wien. Von September 2008 bis September 2009 arbeitete Ennser-Jedenastik als freier Mitarbeiter bei SORA in Wien. Von September 2009 bis März 2013 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem ‚AUTNES Supply Side‘ am Institut für Staatswissenschaft tätig. Seit Oktober 2014 ist Ennser-Jedenastik Universitätsassistent am Institut für Staatswissenschaft.
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Zweimal war die SPÖ bisher auf einen Koalitionspartner angewiesen: Von 1996 bis 2001 regierte Rot-Schwarz, und seit 2010 ist Österreichs erste rot-grüne Landesregierung im Amt. Die Wahl im Oktober ist also auch eine Abstimmung über die politische Bilanz von Rot-Grün in Wien.

Eine historische Wahl…

Falls die veröffentlichten Umfragen einigermaßen zutreffen, dann erwarten wir für den 11. Oktober historische Tiefststände bei SPÖ und ÖVP, während die FPÖ ihr Allzeithoch erreichen dürfte. Die Grünen bewegen sich momentan leicht über dem Ergebnis von 2010, neu in den Wiener Landtag und Gemeinderat dürften die NEOS einziehen.

Wiener Landtagswahlen von 1945 bis 2015. Schätzung für 2015 entspricht Mittelwert aus jüngsten drei Umfragen.

Bis Mai 2015 zeigten die veröffentlichten Umfragen die SPÖ bei knapp unter 40 Prozent, die FPÖ bei knapp unter 30 Prozent. Seit Juni hat sich der Abstand zwischen den zwei stärksten Parteien deutlich verringert – in einigen Umfragen liegt die FPÖ nur zwei Punkte hinter der SPÖ.

Natürlich kann in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl noch viel passieren. Unter anderem finden Ende September Landtagswahlen in Oberösterreich statt, bei denen SPÖ und ÖVP ebenfalls Verluste vorausgesagt werden, während die FPÖ stark zulegen dürfte.

Umfragen für die Wiener Landtagswahl 2015

Die Umfragen in Oberösterreich und Wien deuten also auf etwas hin, das man auch das „eherne Gesetz“ von Landtagswahlen in Österreich nennen könnte: Wer im Bund regiert, verliert – wer in Opposition ist, gewinnt. Die Grafik unten zeigt alle Gewinne und Verluste von im Nationalrat vertretenen Parteien bei allen Landtagswahlen seit 1949. Die grünen Punkte stehen für Parteien in der Bundesregierung, die lila Punkte für jene in der Opposition.

Während in den 1960ern und 1970ern Gewinne und Verluste in etwa gleich auf Regierung und Opposition verteilt waren, zeigt sich seit Mitte der 1980er, dass Regierungsparteien zumeist Stimmen verlieren, Oppositionsparteien hingegen zulegen.

Landtagswahlen werden also von vielen WählerInnen dazu benutzt, Unzufriedenheit mit der Bundesregierung zum Ausdruck zu bringen (das oft gehörte Credo „Landtagswahlen sind Landtagswahlen und Nationalratswahlen sind Nationalratswahlen“ ist also so nicht ganz haltbar). Wie so oft bestätigen aber Ausnahmen auch hier die Regel: Der lila Punkt rechts unten steht zum Beispiel für den FPÖ-Absturz um 28 Prozent bei der Kärntner Landtagswahl 2013 – hier überlagerten landesspezifische Faktoren (Hypo, Korruptionsskandale, …) ganz eindeutig den Einfluss der Bundesebene.

Das "eherne Gesetz" bei Landtagswahlen: Wer im Bund regiert, verliert.
Das „eherne Gesetz“ bei Landtagswahlen: Wer im Bund regiert, verliert.

…oder viel Lärm um Nichts?

Allerdings: Selbst wenn bei der Wien-Wahl im Oktober historische Verschiebungen passieren, ist es gut möglich, dass die realpolitischen Konsequenzen in Wien begrenzt sein werden. Auch für den Fall, dass die FPÖ stärkste Kraft wird, ist es sehr unwahrscheinlich, dass es eine freiheitlich geführte Stadtregierung mit einem Bürgermeister Strache geben wird.

Grund dafür ist, dass SPÖ, Grüne und NEOS eine Koalition mit der FPÖ ausgeschlossen haben. Nur die ÖVP kommt somit als Koalitionspartner für die FPÖ infrage – für Blau-Schwarz ist aber derzeit keine Mandatsmehrheit in Sicht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass schwere Verluste der SPÖ und hohe Gewinne der FPÖ personelle und programmatische Konsequenzen innerhalb der SPÖ (in Wien und im Bund) nach sich ziehen. Für die Wiener Stadtpolitik ist nach dem 11. Oktober Kontinuität aber sehr viel wahrscheinlicher als große Veränderung.