In der heißen Phase des Wahlkampfs geben wir auf neuwal verschiedenen Politikern, Bloggern und Bürgern die Gelegenheit, einen Gastkommentar als Bewertung einer Partei zu veröffentlichen. Heute geht es darum, warum man die neos wählen sollte, beziehungsweise warum dies eine schlechte Idee wäre. Wir wollen so auch Menschen außerhalb der neuwal-Redaktion eine Stimme verschaffen und den Dialog zwischen Politik und Bürgern fördern.

Warum man die neos wählen sollte

NikoAlm©KarolaRiegler9Niko Alm studierte Philosophie und Kommunikationswissenschaften und gründete 2001 mit der Kreativagentur Super-Fi das erste von mittlerweile über 10 Unternehmen der gleichnamigen Gruppe. Er bloggt gelegentlich auf alm.at und ist politisch engagiert in der Laizismus-Initiative (laizismus.at) zur Trennung von Staat und Religion, sowie Mit-Initiator des Volksbegehrens gegen Kirchenprivilegien. Niko Alm kandidiert auf Platz 2 der Wiener neos-Landesliste. Twitter

NEOS – Eigenverantwortung ganz ohne Verbote

Wer seine politische Heimat nicht einfach nur von Tradition, Ideologie, Bauchgefühl oder oberflächlicher Begeisterung bestimmen lässt, orientiert sich in der Regel an Inhalten. Das ist mitunter nicht so einfach, weil in der Praxis in wesentlichen Punkten bei zwei oder mehreren Parteien häufig Übereinstimmung herrscht. Parteigrenzen verwischen (z. B. gegen Atomkraft), obwohl die Lager in anderen Punkten vielleicht weit auseinander liegen (z. B. Migration).

Inhaltliche USPs bei einem Thema gibt es für eine Partei heute kaum, weshalb Inhalte in Form politischer Programme nur in ihrer Gesamtheit, ihrer Entstehung und ihrem Umsetzungspotenzial vergleichbar sind. Die Ausrichtung dieser Inhalte an Werten und Verkörperung und Umsetzung durch Personen sind für die persönliche Standortbestimmung ebenso maßgeblich. Das vehemente Eintreten für eine Bildungsreform, höheres Pensionsalter, Europa wirkt eben bei manchen glaubwürdig, bei anderen nicht, auch wenn formal ähnliches gefordert wird.

Wer, so wie ich, dann mit dem politischen Angebot (inhaltlich, stilistisch und personell) unzufrieden ist, hat die Möglichkeit sein persönliches Umfeld davon zu unterrichten, dass politisch alles im Argen liegt (sprich permanentes Schimpfen und Sudern), oder selbst anzupacken. Auch ich habe mich entschlossen Politik zu ändern; und zwar vom einzigen Punkt aus, der realistisch möglich ist. Nämlich aus der Mitte. Als Unternehmer sehe ich mich wie viele andere bei NEOS auch als politischer Entrepreneur.

NEOS unterscheidet sich in der Anwendung seiner Kernwerte, wie Eigenverantwortung und Freiheit, tatsächlich von allen Mitbewerbern – für mich als politisch vormals heimatlosen Liberalen im besten Sinn. Programmatisch liegt der Fokus auf den wesentlichen Themen: Generationengerechtigkeit, Bildung, Demokratie und Europa, wobei gerade letzteres nicht mit bedingungsloser EU-Hörigkeit gleichzusetzen ist, sondern tatsächlich den Kontinent im Blickfeld hat. Wir sind im globalen Kontext Europäer und zukünftige geopolitische Herausforderungen werden einfach nicht nationalstaatlich lösbar sein.

Zudem hat jeder Mensch auch ein persönliches Umfeld, das politisch adressiert wird. Bei mir ist es das (Klein-)Unternehmertum, wo NEOS ein Spektrum an Forderungen vertritt, die von einer liberalen Partei erwartet werden dürfen: Fokus auf Start-Ups, Reduktion der Abgaben auf Arbeit, Ladenöffnungsrecht, Erleichterungen für EPU, Modernisierung des Gewerberechts, Abschaffen der Mindest-KÖSt. und Gesellschaftssteuer, Erleichterung von Mitarbeiterbeteiligungen usw.

Ist alles bei NEOS perfekt? Natürlich nicht. Aber das ist bei keiner Partei der Fall. Und der größte Unterschied zu allen politischen Mitbewerbern liegt in der Art der Problemlösung. NEOS orientiert sich nicht an vordefinierenden ideologischen Leitlinien oder an den Ideen eines Parteigründers oder der Schwarmintelligenz, sondern an Fakten. Wir arbeiten evidenzbasiert und versuchen nicht in utopistischer Art und Weise die Menschen zu ändern und zu kontrollieren. Menschen sind verschieden, Versuche sie in ihrem eigenverantwortlichen Handeln zu reglementieren, enden zwangsläufig auch bei Verboten. Verbote führen auch zu Überwachung und das ist kein schöner Ausblick.

Genauso wie die Pensionen der Generation Y, die nicht mehr ausgezahlt werden können, keine schöner Ausblick sind. Die regierenden Parteien erhalten (mit inhaltlicher Unterstützung des parlamentarischen Mitbewerbs) ein System, das ganz offensichtlich, weil faktisch leicht nachvollziehbar, nicht weiter funktionieren wird. NEOS thematisiert das, auch wenn es unpopulär ist, und bietet die notwendige Lösung an (u. a. ein der Lebenserwartung angepasstes = höheres, gleiches faktisches Pensionsantrittsalter für Männer und Frauen).

NEOS ist keine Partei, die ein Hocharbeiten an vorhandenen Strukturen erfordert. Wir sind Menschen, die mitten im Leben stehen und sich politisch engagieren, um als gemeinsame Bewegung etwas zu ändern. Uns eint das politische Unternehmertum. NEOS wird neues Personal und eine neue Art, Politik zu machen, ins Parlament bringen.

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Warum man die neos nicht wählen sollte

kurt rothleitnerKurt Rothleitner studierte Bank- und Finanzwirtschaft und ist mit 32 Jahren Vater von zwei Kindern. Derzeit ist er in Vorbereitung auf eine zweite Karenz. Kurt Rothleitner hatte früher einige Funktionen in der JVP inne, heute ist er Gemeindeparteiobmann in Baumgarten im Burgenland. Er ist auf Twitter unter @dasnilpferd zu finden und betreibt einen Blog.

Wenn die ÖsterreicherInnen am 29. September ihre Wahl treffen können, dann ist NEOS sicherlich nicht die richtige. Obwohl NEOS am Wahlzettel neu sein wird, sind es ihre AkteurInnen nicht! Viele haben ihren Background in einer bereits existierenden Partei. Jetzt könnte mensch davon ausgehen, dass dies ja grundlegend kein Problem darstellen kann. Aber wie auch im Liebesleben bei uns Menschen, kann eine neue Beziehung latent von einer alten belastet sein. Warum haben sich viele aus Parteien verabschiedet, um sich auf die Beine zu stellen, damit etwas Neues bzw. anderes gemacht wird, wenn sie davor auch nicht den Mut hat, dagegen aufzustehen. Fast alle verschwanden stillschweigend und sichsind? dann plötzlich aufgetaucht.

Durch die Zusammenarbeit von Liberalen, Bürgerlichen, Grünen, Wutbürgern und Onlinern ist klar, dass nicht alle glücklich gemacht werden können, wenn es an die Umsetzung von Ideen geht. Eine der besten Beschreibungen der aktuellen Situation bei NEOS wäre jene von Oskar Stock:

„Der Teamgeist ist heut‘ hoch gefragt,
weil man im Team sich leichter plagt;
doch die Gemeinschaft hält nicht lang‘,
wenn man nicht zieht am selben Strang.“

Jetzt werden NEOS sicherlich kontern, dass sie doch alle an einem Strang ziehen. Sie haben ein Programm, einen Großspender, ein Parteilokal und vieles mehr. Eigentlich Zeichen für Unification. Aber ein Programm ist eine Absichtserklärung, wie wir aus den letzten Jahrzehnten wissen. Schon in dem bisher erarbeiteten Programm wurden viele Kompromisse geschlossen, da die potentielle WählerInnenschaft nicht verschreckt werden soll. Eindeutige Positionen sind somit eher unwahrscheinlich.

Ihr Gründer und Vorsitzender sagt schon jetzt, dass er in eine Regierung mit ÖVP und Grünen will. Neben den Liberalen sind die WählerInnen der beiden Gruppen das eigentliche Gebiet, in denen NEOS für Funktionen, KandidatInnen und Unterstützer fischt. Aber warum sollten die WählerInnen nun zum Schmiedl gehen und nicht zum Schmied?

Wenn NEOS neu und besser sein soll und sie die Mitte der Gesellschaft darstellen, dann müssten sie doch noch viel eher die reale Gesellschaft abbilden. Also vor allem die Parität der Geschlechter widerspiegeln. Ist dies der Fall? Nein. Denn sogar die ÖVP hat insgesamt mehr kandidierende Frauen. Die Kandidaten sollten alle Lebenssituationen und -wege abbilden. In ihren Reihen muss man Arbeitslose, ArbeiterInnen, Beamte, Landwirte jedoch suchen, denn von diesen Ausnahmen gibt es nur eine Handvoll. Der Rest ist entweder selbständig, von den Eltern unterstützte Studierende oder hat schon einmal von der – achso schlimmen – Politik Nutzen getragen, oder alles zusammen. Von der Mitte der Gesellschaft sind sie so weit entfernt wie Franz Dobusch von einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften.

Auch betonen sie, besonders demokratisch zu sein. BürgerInnen und FunktionärInnen haben Mitspracherecht, hier haben die Grünen als Vorbild hergehalten. Jedoch behält sich der Vorstand ein Drittel der Gewichtung vor, was beim Vorbild zu einem Aufschrei der SympathisantInnen führen würde.

Kann mensch heute schon mit Gewissheit sagen, was NEOS im Falle des Einzugs in den Nationalrat tun wird? Wohl kaum, denn bei den verschiedenen Playern bei NEOS ist unklar, welche Gruppierung des Wahlbündnisses NEOS letztlich bei der Ausgestaltung von Vorhaben am meisten profitiert, d.h. ihren Standpunkt am besten vertreten kann. Oder ob es manchen nur persönlichen Nutzen bringt. Dem Religionskritiker, der mit seinem Unternehmen auch andere Parteien berät? Dem ehemaligen schwarzen Ziehsohn, der dann letztendlich doch nicht nach oben gerutscht ist?

Mit der bisherigen Halbwertszeit liberaler Bewegungen in Österreich ist eigentlich schon vorherzusehen, dass es nicht lange dauert, bis die Ersten die zukünftige Entwicklung im Wahlbündnis nicht mehr mittragen können. Wenn der Vorsitzende einen wichtigen Teil der Organisation als Stachel bezeichnet, ist das ein sehr gelungenes Bildnis. Entweder der Stachel wird von der Organisation umschlungen oder er eitert hinaus. Also entweder werden die Fremdkörper abgekapselt oder aus der Organisation ausscheiden. Eines der besten Bildnisse für Wahlbündnisse dieser Art. Vor allem, weil die meisten AkteurInnen, dies – ihrer eigenen Schilderung nach – ja schon einmal mitgemacht haben.

Selbst wenn NEOS versuchen, an einem Strang zu ziehen, ist damit nicht unbedingt gemeint, dass sie auch am selben Ende ziehen. Hier liegt ihre Sollbruchstelle. Alles nur eine Frage der Zeit.

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Pro & Contra – die Sicht von Außen.

Idee & Umsetzung Stefan Hechl
Mithilfe neuwal Redaktion
Titelbild-Design Theresa Klingenschmid
Die Gastbeiträge geben nicht die Meinung der neuwal-Redaktion wieder.